Wolfram UllrichWolfram Ullrich





Ein Mann, der Ecken und Kanten liebt - der Bildhauer Wolfram Ullrich



Wolfram Ullrich liebt klare Formen. Und er liebt den Widerspruch, das Paradoxe. So sind seine Arbeiten zwar präzise ausgeführt, doch begrifflich schwer fassbar: nicht mehr Bild, und noch nicht ganz Raumplastik. Ullrich gestaltet Objekte, die sichtbar Gefallen daran finden, sich von ihrem Untergrund, der Horizontalen, zu lösen und den Raum zu erobern. Das klingt poetisch, ist es aber nicht. Vor dem Betrachter hängt nüchternes Stahlblech, mittig gebogen oder mehrfach gefaltet. Acrylfarbe überzieht das Metall, monochrom, in klar begrenzten Farbfeldern und wechselnder Dichte. Mal glänzend, mal matt, nimmt das Blau, Rot oder Grün verschiedene Qualitäten an. Schwarz changiert ins Taubenblaue, wird stumpf, dann wieder lebendig, je nach Lichteinfall und Betrachtungswinkel. Die unterschiedlichen Flächen nehmen das gebogene Blech auf, ja verstärken seine Kanten und Knickstellen, so dass malerische und skulpturale Mittel um den prägenden Raumeindruck wetteifern: Falten laufen ins Leere oder werden zur Augentäuschung, tatsächliche Bugstellen hingegen sind als solche kaum mehr erkennbar.
Vor beinahe einem Jahrzehnt entdeckte der 1961 in Würzburg geborene Künstler das Relief für sich. Aus den geometrischen, in die Metalloberfläche geritzten Kompositionen wurden Schnitte, die das Blech durchbohrten, und schließlich geknickte Flächen. Das wirkt nicht besonders spektakulär angesichts des amerikanischen Hard Edge und Arbeiten von Ellsworth Kelly, die mühelos die Grenze zur Plastik überwanden. Doch es bezeichnet eine klare Entscheidung, einen persönlichen Weg. Was zunächst der Ästhetik der Konkreten Kunst verpflichtet schien, der harten, bruch- und freudlosen Geometrie, gibt sich zunehmend eigenständig, ja prägnant.
Eckig und ehrlich, dann wieder verschmitzt, breiten die Arbeiten ihre Metallflügel aus, wie um sich von der Wand zu lösen. Wenn sie es dennoch nicht tun, so hat dies konzeptionelle Gründe. Wieder geht es um Trennlinien, wortwörtliche und übertragene. Ullrich hält seine Objekte nämlich bewusst in der Schwebe. So wie ihre Oberflächen mal reflektierend, mal glanzlos scheinen und doch aus derselben Farbe sind, so ist der vorwärtsdrängende Eindruck der Arbeiten ambivalent. Scharf schneiden sie zunächst in den Raum, mit metallenen Kanten und leuchtenden Farben. Ganz so, als wollten sie bedeuten: Vorsicht Kunst! Dann wieder wird ihre Bewegung durch geschlossene Kompositionen - Quadrate zumeist - zurückgenommen.
Bei seiner stärksten Arbeit, einem langgezogenen Rechteck in Schwarz, knüpft Ullrich an frühe Ritzzeichnungen an. Ein einzelner Bleistiftstrich läuft diagonal über das Relief, das nach rechts bereits von der Wand in den Raum ausgreift, und zwar so energisch, dass sich der Betrachter unwillkürlich fragt, ob hier nicht die Mauer schief steht. Diese Verwirrung ist beabsichtigt. Sie ist Teil eines doppelbödigen Spiels mit den - scheinbar - klaren Formen.

Oliver Herwig
Süddeutsche Zeitung, 15. Februar 1999

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